15.09.2021
Jesus ist nahe
Das Gefühl der Machtlosigkeit
© unsplash, Iago Godoy
JESUS IST NAHE
Der 11. September 2001 - Ein Tag, der sich für immer in meine Seele eingebrannt hat. Damals war ich 10 Jahre alt und lebte mit meiner Familie in Toronto, Kanada, ca. eine Flugstunde von New York City entfernt. Der Schulunterricht der 6. Klasse war schon zugange, als der Lehrer das Radio anmachte. “Ein großes Feuer in New York” hieß es. Dann rollte er den sperrigen Fernseher ins Klassenzimmer und stellte ihn an, sodass wir, eine Gruppe von 10 und 11-jährigen, live miterleben konnten wie das zweite Flugzeug sich in den Südturm beförderte. Wir beobachteten, wie verzweifelte Menschen weiße Tücher aus den brennenden Türmen hielten, und die letzten Lebensmomente derjenigen, die nur noch den Sprung aus dem Fenster als Ausweg sahen. Derweilen kreisten meine Gedanken darum, was alles noch schlimmes passieren konnte. Zum ersten mal spürte ich in meinem tiefsten Innern, wie unsicher diese Welt doch wirklich war.
Das Gefühl der Machtlosigkeit
Dieser Tag löste in mir auch ein anderes Gefühl aus: Machtlosigkeit. Zuschauen, wie Menschen ihr Leben verlieren, darum ringen, und nichts machen können. Nicht wissen wie man damit fertig wird. Nicht wissen, was danach kommt. Überforderung. Weinen.
Viele Menschen wissen heute noch ganz genau, wo sie am 11. September waren. Und heute mögen uns diese Bilder vertrauter sein, weil wir wissen welch Zyklus der Trauer und Gewalt dadurch losgetreten wurde. Nicht zuletzt, wenn wir uns die jüngsten Bilder aus Afghanistan anschauen. Ich muss tief einatmen, wenn ich junge Afghaninnen höre, wie sie verzweifelt den Journalisten erzählen, wie sie um ihre Existenzen fürchten und ohnmächtig zuschauen wie ihre Zukunftschancen dahinschwinden, sogar auf offener Straße von den Taliban verprügelt werden. Und ich schaue wieder einmal nur zu - und weine.
Seit diesem einen Tag wurde mir immer bewusster, wie sehr die Machtlosigkeit schnell überhand nehmen kann, bis hin zum Punkt, wo es zur psychischen Belastung wird. Letztens hörte ich irgendwo, dass dieses Gefühl der Unsicherheit und der Machtlosigkeit den aktuell den Zeitgeist bestimmt.
Stimmt irgendwie. Es deckt sich zumindest mit dem, was ich wahrnehme. Dennoch beißt es sich mit dem, was ich als Christin weiß: Dass mein Gott diesen verrückten blauen Planeten und Alles, was darin geschieht, in seiner Hand hält.
Wir weinen nicht alleine
Kurz vor der Verzweiflung erinnere ich mich an den Moment, als Jesus die Stadt Jerusalem sah und um sie weinte (Lukas 19:41). Wenn Jesus einen Augenblick nimmt um seine Trauer auszudrücken über das was geschehen ist oder geschehen wird - politisch, mit den Menschen, in ihren Herzen, wie sie mit ihm umgehen werden - dann weiß ich, dass dieser Jesus auch meine Trauer und Machtlosigkeit sieht. Er verschließt sich nicht vor dem Leid, sondern lässt es sein Herz bewegen.
Auch ich will nicht mich davor verschließen, was auf dieser Welt geschieht. Ich will mein Herz für die Menschen und seine Schöpfung bewegen lassen. Ich will um sie weinen und schreien: “Herr, erbarme dich”. Denn das was mein Herz bewegt und wofür es bricht bleibt nicht ungesehen. Das lässt die Trauer zwar nicht in Luft auflösen - doch es ist heilsam zu wissen, dass Jesus uns nahe ist und wir nicht alleine weinen.
“Der HERR ist nahe denen, die zerbrochenen Herzens sind” Psalm 34:19
Kersten Rieder